„Du musst kein Hipster sein, um guten Kaffee zu trinken“ — zu Gast bei den Cycle Roasters in Lübeck

Gründen in Corona-Zeiten? Was für viele, die sich in dieser außergewöhnlichen Zeit vor allem nach etwas Sicherheit sehnen, verrückt klingen mag, war für Philip Turpin und Sergey Sukhachev genau der richtige Schritt. Denn wie lässt es sich besser in den Tag starten, als mit einer wirklich guten Tasse Kaffee? Das gilt auch – oder gerade – fürs Homeoffice, wenn man schon auf die Kollegen verzichten muss, mit denen man gerne mal auf ein Tässchen zusammenstand. Im Januar diesen Jahres starteten die Beiden mit Cycle Roasters nun ihr ganz persönliches Kaffee-Projekt. Im Herzen der Lübecker Altstadt gibt es seitdem nicht nur außergewöhnlich guten Kaffee, sondern auch zwei Experten, denen es um nichts weniger geht, als die Kaffee-Welt ein kleines bisschen zu revolutionieren. Von Timo (Bilder) und Svenja (Text)
Massengeschmack? Nein, danke!
„Um Wert auf guten Kaffee zu legen, brauchst du weder Cap, enge Hosen noch einen Bart“, sagt Philip Turpin an einem Samstagmorgen in seinem neuen Ladengeschäft in der Wahmstraße 51 in Lübeck und trägt dabei: Cap, enge Hosen und einen (wenn auch dezenten) Bart. Was auf den ersten Blick vielleicht widersprüchlich klingt, meint der 37-Jährige durchaus ernst: „Du musst kein Hipster sein, um guten Kaffee zu trinken. Wir wollen, dass die Menschen Angst vor Speciality Coffee verlieren.“ Seine Botschaft ist klar. Viel zu oft geht es bei dem schwarzen Heißgetränk vor allem um eines: es soll wach machen und denjenigen, der es trinkt, mehr oder weniger gut durch den Tag (oder die Nacht) bringen. Dass die Qualität dabei oft minderwertig ist, das Getränk dadurch bitter und am Ende nur mit einer Riesenportion Zucker den Weg in den Magen findet, ist für ihn fast wie ein kleines Verbrechen an der braunen Bohne.
Aktuell stammen 96% des in Deutschland konsumierten Kaffees von Großröstereien. Der Geschmack ist auf den Massenmarkt ausgelegt, Unterschiede auch für den geschulten Gaumen kaum auszumachen. Dabei spielen die Röstaromen neben den Hauptunterscheidungsmerkmalen Süße, Säure, Bitterkeit eine große Rolle. Beispiele? Geröstete Haselnuss, Dunkle Schokolade oder Praline. So steht es auch auf den hübschen minimalistisch weißen Verpackungen, in denen die gerösteten Bohnen luftdichtverschlossen und säuberlich sortiert im Regal des Geschäfts landen – und hier auf ihren großen Aufritt warten. „Am besten ist es, die Bohnen erst kurz vor dem Aufbrühen zu mahlen“, erklärt der Röster, der sich seit 2003 mit Kaffee beschäftigt. So verlieren sie nicht schon vorher ihren Geschmack, denn die Oberfläche der gemahlenen Bohnen ist um einiges größer und hat somit mehr Angriffsfläche. Daher riecht Kaffee frisch aus der Mühle gleich viel intensiver.
Die Leidenschaft mit anderen teilen
Wenn Philip über Kaffee spricht, spricht nicht nur sein Mund. Auch an seinen Augen und seinen Händen, die ununterbrochen in Bewegung sind, sieht man: hier liebt jemand das, was er tut. Warum also nicht auch bei anderen diese Leidenschaft entfachen? „Neben unserem Shop, planen wir für den kommenden Sommer auch eine Kaffeeschule, in der wir Kurse rund um Mahlgrad, Brühtemperatur und die verschiedenen Zubereitungsarten anbieten. Jeder kann seine Fragen dabei unkompliziert loswerden und von unserer Erfahrung profitieren.“ Dabei soll es auf keinen Fall dogmatisch zugehen. „Ein guter Kaffee kann auch ziemlich simpel zubereitet werden. Bohnen frisch mahlen, die richtige Menge in den Handfilter, Tasse drunter und gut.“
Cycle Roasters – Kaffeegenuss als Zyklus
Röster sein, das heißt für den Lübecker nicht nur, sich regelmäßig weiterzubilden und den Austausch mit Kollegen aus der ganzen Welt zu suchen. Es heißt auch, zum Ursprung zu reisen. Dorthin wo der Kaffee angebaut und gepflückt wird. Äthiopien, Kenia, Bolivien, Mexico. Reisen spielt eine große Rolle für sein Selbstverständnis als Kaffeeröster. „Wenn mich ein Thema gepackt hat, möchte ich alles darüber wissen.“ Der Ehrgeiz, den er dabei entwickelt, hilft ihm auch bei seiner zweiten großen Leidenschaft, dem Radsport. Nicht umsonst spielt der Firmenname mit dieser Assoziation und erinnert das Logo bei flüchtiger Betrachtung an eine Pedale, obwohl es das Kühlsieb eines Trommelröster ist. „Mit Cycle Roasters wollen wir zum Ausdruck bringen, dass es um so viel mehr geht, als sich ein oder zwei Päckchen guten Kaffee bei uns zu kaufen und dann damit vor die heimischen Stempelkanne oder den Vollautomaten zu verschwinden.
Wir sehen den Kaffeegenuss als Zyklus. Das fängt schon bei der Ernte an.“ 70 bis 80 Prozent des Kaffees, den sie anbieten, ist direkt gehandelt. Philip kenn die Farmer vor Ort und weiß genau, woher die Bohnen kommen, die in 24 Kilo-Eimern frisch geröstet in ihrem Laden stehen. „Momentan röste ich noch in Hamburg. Dort, wo wir in Lübeck die Kaffeeschule eröffnen, werden dann auch unsere eigenen Maschinen stehen“, erklärt er.
Teamwork
Während Philip all das erzählt, werkelt Sergey im Hintergrund. Frischen Kaffee aufbrühen, Pakete annehmen, Kunden beraten und ihnen die neueste Röstung empfehlen. „Ich bin definitiv der Ruhigere von uns beiden. Wenn Philip erstmal angefangen hat, über Kaffee zu sprechen, hört er so schnell nicht wieder auf“, sagt er und lacht.
Der 32-Jährige, Tattoos an beiden Armen und mit schwarzer hochgekrempelten Mütze, ist gelernter Restaurantfachmann und neben der Kundenberatung und dem Verkauf auch für einen ansprechenden Aufritt und das Design zuständig.
Die beiden Köpfe hinter Cycle Roasters kennen sich seit sieben Jahren und schwingen sich, wenn sie mal nicht über neuen Kaffee-Trends philosophieren, gern gemeinsam in die Pedale. Bei einer Sache sind sie sich allerdings uneinig: „Auch wenn wir bei der Auswahl unserer Kaffeesorten meist übereinstimmen – fermentierte Noten, die Sergey ganz gut findet, gehen gar nicht. Das schmeckt für mich wie vollgekackte Babywindeln“, sagt Philip und grinst. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Das gilt auch beim Kaffee.
Mehr Infos und Online-Shop unter: https://cycleroasters.coffee/